Dienstag, 24. Mai 2016

Was ich von Lena, auf Friedhöfen und von Johnny Cash lerne

Montags freue ich mich immer über  Lenas Wochenendbilder. Sie öffnet ein kleines Fenster in ihr Familienleben und langsam fühle ich mich schon ganz vertraut in ihrem Wohnzimmer.  Obwohl ich noch nie bei ihnen zu Gast war habe ich das Gefühl, dass ich mit ihnen schon den Sabbat gefeiert, leckere Sachen geschmeckt und ihren wertschätzenden Umgang mit ihrem Ehemann und den Kindern miterlebt habe.  Ich bin jedes Mal beeindruckt wie bewusst sie versuchen, ihre Tage gut und voller Dankbarkeit miteinander zu verbringen.  Und wenn wir uns nicht vergleichen dann können die Bilder und Geschichten der anderen etwas von unserer eigenen Sehnsucht wachhalten nach nach guten Orten, heilenden Begegnungen, unbeschwerten Momenten und uns immer wieder daran erinnern, dass wir unser Leben gut leben wollen.  So wie es ist. Mit dem was uns heute gegeben ist (und das gelingt bei uns mal mehr, mal weniger).
Manchmal schreibt Lena ihre Monatspläne und schließt mit dem Satz: So Gott will und wir leben. Das klingt in meinen Ohren ungewohnt aber es erinnert mich daran wie wacklig unsere Pläne letztlich sind und dass es ziemlich klug ist, wenn wir uns immer mal wieder bewusst machen, dass unsere Zeit auf der Erde begrenzt ist.

Mir hilft es ab und zu über den Friedhof in unserere Nähe zu laufen - erst vor ein paar Tagen war ich wieder dort.(im Herzen bin ich eben doch ein Gruftie:-)) Ich betrachte die Grabsteine, die zwei Zahlen und der kleine Strich dazwischen der ein Leben ausmacht. Und während ich vorbeilaufe bete ich, dass ich mein Leben gut leben kann und erkenne, was wirklich wichtig ist. 


Das Ureigene zu finden und dann das Wenige gut zu tun , das habe ich gestern in der neuen Ausgabe von Aufatmen gelesen. Die Worte standen in einem Artikel von Thomas Härry über Johnny Cash.


Ich liebe Johnny Cash und der Bericht hat mich begeistert. Thomas Härry schreibt wie wichtig es für Johnny Cash war seiner ursprünglichen Gabe treu zu bleiben, sich nicht vermarkten lassen, nicht mehr sein zu wollen als dieser Mann mit Gitarre (die er nicht mal sonderlich gut spielte), der oft an sich scheiterte und der am Ende seines Lebens mit zitternder Stimme über Gnade sang.
Härry schreibt dass es immer wieder im Leben darum geht, sich frei zu machen - von Erwartungen anderer und von dem eigenen Anspruch zu viel zu wollen:

Jeder Mensch hat sein Ureigenes zu geben. Gott lädt uns ein danach zu suchen und nicht zu ruhen bis man es gefunden hat. Und dann gilt es dieses Eine, auch wenn es uns klein und unbedeutend erscheint, sorgfältig in die Hand zu nehmen und es weise einzusetzen. Es ist Gabe Gottes und deshalb Samenkorn für Großes, Ewiges. Ich muß ihm nur trauen - der Gabe und dem Geber.                                                              T. Härry

Noch etwas lerne ich auf den Friedhof: Unsere Tage sind kostbar und ich will sie bewusst wahrnehmen und mich an dem Guten freuen. 
 Während ich durch die Grabreihen laufe denke ich daran wie ich - vor gar nicht allzu langer Zeit - an vielen Vormittagen den Kinderwagen mit Samu hier entlang geschoben habe, müde und in der Hoffnung, dass das Baby nochmal einschläft. Jetzt ist das "Baby" schon fünf Jahre alt! Ein bisschen wehmütig denke ich darüber nach wie schnell die Zeit vergeht
Vor kurzem habe ich damit begonnen einen Quilt zu nähen. Angesichts meiner Handarbeits-Fähigkeiten fürchte ich, dass es ein Lebensprojekt wird. Aber ich fand den Gedanken toll, Samuels Lieblingsklamotten, die ich ihm fast bis zur Auflösung angezogen habe, in dieser Decke zu verarbeiten. Und wenn ich mich dann (in ferner Zukunft) abends auf dem Sofa hineinkuscheln werde, werden mich die Flicken an all die besonderen und doch auch ganz gewöhnlichen Momente unseres  Lebens erinnern. An Gottes Güte. Und allein die Gedanken daran werden mich schon wärmen...









Lena, Johnny Cash und die Grabsteine an denen ich vorüberlaufe erinnern mich daran: 
Ich will mein Leben gut leben. Ich will die guten Momente genießen, essen, lieben, feiern, scheitern und täglich neue Strophen über die Gnade singen. Ich will Pläne schmieden und ab und zu ein demütiges "wenn Gott will und wir leben" hinterherschieben. Ich will lernen mich immer wieder zu begrenzen, das Wenige gut tun und der Gabe vertrauen, die Gott mir gegeben hat. 
Ich will heute die Hände "in den Teig" meines Lebens stecken, in die täglichen Herausforderungen und vertrauen, dass Gott das  mit mir irgendwie gebacken bekommt und dass er etwas macht - aus dem kleinen Strich zwischen den zwei Zahlen meines irdischen Lebens.

Donnerstag, 19. Mai 2016

Verdrängungsweltmeisterin

Letzte Nacht habe ich nicht gut geschlafen. Nicht etwa weil mein Kind mich wachgehalten hat sondern weil mein Knie bei jeder kleinen Bewegung weh tat und ich davon ständig aufgewacht bin. Dementsprechend war ich der falsche Ansprechpartner für die vielen Fragen eines Fünfjährigen am Frühstückstisch: "Welches Auto ist dein Lieblingsauto? Wie schnell fliegt das Flugzeug? Und wenn es ganz hoch fliegt trifft man dann Gott oder Jesus?" Eine prima Gelegenheit mit meinem Sohn über die Anwesenheit Gottes, den Himmel und die Dreieinigkeit zu reden.  "Frag doch einfach den Papa", war stattdessen meine genervte Antwort. Ok, vor der ersten Tasse Kaffee sind solche Fragen wirklich nicht zu beantworten (finde ich). Aber heute bin ich einfach genervt von meinem Schmerz im Knie und meine Umwelt bekommt das zu spüren.
 
schwierig das eigene Knie zu fotografieren :-)

Nun ist es nicht so, dass es erst seit ein paar Tagen weh tut. Nein. Seit einigen Wochen (!) spüre ich zunehmend Schmerzen. Begonnen hat das Ganze mit einem Krachen im hinteren Kniegelenk wie ich abends die Beine auf den Wohnzimmertisch gelegt habe (also nicht mal eine coole Sportverletzung!). Kreuzband, dachte ich sofort. Diesen Schmerz kenne ich. Aber statt wie jeder normale Mensch zum Arzt zu gehen, warte ich einfach ab und hoffe, dass es von alleine besser wird. Ich lasse dafür beten, hoffe auf eine Spontanheilung. Hat ja Gott schon mal bei mir gemacht. Aber es wird schlimmer. Es schränkt mich zunehmend in meinem Alltag ein. Ich schaffe es nicht mehr lange mit Samu auf dem Boden zu knien und Auto zu spielen und seit heute kann ich ihn nicht mehr mit dem Rad zur Kita fahren (ein E-Bike!). Ich weiß - ich sollte zum Arzt gehen. Warum tue ich es nicht einfach? Ja, warum eigentlich nicht?

Es ist als würde mir ein Baustein in meiner Persönlichkeit fehlen manche Dinge einfach wie normale Menschen anzugehen: 
Ein Schmerz der nicht besser wird? Ich gehe zum Arzt. 
Ein Telefon das klingelt? Ich hebe ab. 
Eine Situation die schwierig in einer Beziehung ist? Ich spreche es an. 
Nein. Stattdessen hoffe ich darauf, dass es sich von selbst erledigt. Oder ich hoffe dass Gott eingreift und die Sache sich damit erledigt. Aber er lässt mir das nicht oft durchgehen.(und er nimmt auch ganz selten den Hörer für mich ab;-)). Anstatt mir die Dinge aus dem Weg zu räumen ist er bereit  mir den Mut zu schenken die Situationen anzugehen. Das finde ich ein bisschen unfair und sehr psychologisch von ihm. Aber was will man machen? Er tut nicht immer das was ich will.

Samu versteckt sich auch gerne wenn`s Streß gibt. Hat er wohl von mir:-)
  
Und meistens wird der Berg der vor mir liegt noch ein bisschen größer und unbezwingbarer umso länger ich versuche ihn zu umgehen. (und manche verdrängte Verletzungen können sich auf sämtliche Bereiche in unserem Leben auswirken und uns am Ende völlig lahmlegen). Trotzdem hoffe ich immer wieder darauf, dass es sich von alleine erledigt. Wahrscheinlich weil ich Konflikte nicht mag oder weil ich einfach Schiss habe und dem Schmerz ausweichen will (wenn der wuchtige osteuropäische Orthopäde mein Knie in seine Hand nimmt und nach allen Seiten dreht zum Beispiel). 

Aber ich will auch hier lernen barmherzig mit mir sein. Schritt für Schritt ein wenig mutiger werden. (und so ängstliche Menschen wie ich brauchen sehr viel Mut!)
Also habe ich beim Orthopäden angerufen um einen Termin auszumachen. Erster Schritt. Ich höre dass er diese Woche noch Urlaub hat. Yesss. Gnädige Aufschiebung! Vielleicht wird es ja bis nächste Woche doch von alleine besser oder Gott heilt mich? Falls nicht werde ich mir einen Termin geben lassen. Zweiter Schritt. Ich werde es angehen. Humpelnd. Auch wenn es erstmal richtig weh tun wird. Manchmal ist eben genau das der Weg um heil zu werden.

Beten wir um Heilung und beten wir um Mut füreinander wenn wir den schweren Weg der kleinen Schritte gehen müssen um gesünder zu werden. Eins ist sicher: Gott ist an unserer Seite! 



Montag, 16. Mai 2016

Ein Spatz in unsrer Hand!

Schaut mal was Heio mit nach Hause gebracht hat:


Ein kleiner verängstigter Spatz! (zumindest wollen wir glauben, dass es einer ist :-)). Er lag neben der Straße und hat sich kaum mehr bewegt. Heios Diagnose: wahrscheinlich ist er gegen eine Fensterscheibe gedonnert. Und der Mann wird zum Spatzenpapa: er macht ihm ein kleines Nest , holt eine Schnecke und Würmer aus dem Garten, versucht ihn vorsichtig zu füttern und er lässt den kleinen Kerl nicht mehr aus den Augen. Der wird langsam wieder ein bisschen munter, flattert ein wenig, fällt um und versucht es nochmal. Wir entscheiden: noch zu früh um ihn in`s wilde Leben entlassen zu werden  - außerdem kommt Samu gleich von der Kita und er soll unseren neuen Freund auch noch bewundern. 
Dann stehen wir zu dritt auf der Terasse. Der kleine Spatz schaut uns erwartungsvoll an. Wir heben den Deckel und er hüpft vorsichtig zum Balkongeländer. Hier bleibt er noch ein wenig sitzen. Schaut zu uns. Schaut zu den Bäumen. Ein kleiner Windstoß und er fliegt los. Ganz unbeschwert, hinauf in die Baumkronen. Wir jubeln und freuen uns. Ich setzte mich mit Samu an`s offene Fenster und wir hören immer wieder sein Piepsen. Er hat nämlich eine ganz besondere Art zu piepsen und in unseren Ohren klingt es als wolle er sich bei uns bedanken.










Als kleines Kind habe ich das Lied in der Kinderkirche gelernt: 

Ein kleiner Spatz zur Erde fällt, und Gott entgeht das nicht. 
Weil er die Vögelein so liebt weiß ich er liebt auch mich.

Irgendwie hatte ich dabei die kindliche Vorstellung, dass Gott die Spatzen vor dem Fallen bewahrt - und mich auch. Aber das sagt das  Lied nicht (und auch nicht die Bibelstelle, die dahinter steht). Die Vögel fallen zur Erde. Ja. Auch wenn Gott sie liebt. Wir Menschenkinder fallen. Verletzen uns. Manche von uns sogar richtig heftig. Und Gott verhindert das Fallen nicht. Zumindest nicht immer. Das ist eine Wahrheit an der der Glaube auch zerbrechen kann.  
Aber hier ist mein Trost. (und keine Erklärung!): Gott entgeht das nicht. 
Nichts entgeht ihm. Kein Flüchtling. Keine Mama in Afrika die um ihre verschleppte Tochter weint (und deren Schicksal die schnelle Medienwelt kaum mehr interessiert). Kein Kind das fällt und sich davon die Knie aufschürft. Nicht der allerkleinste Schmerz entgeht ihm.
Er kniet sich neben jedes Leben das verletzt am Straßenrand liegt. Er umschließt unser Herz. Er versorgt unsere Wunden Er hält uns still in seiner Hand.  Nährt unsere Seele. Wartet mit uns. So lange wie wir brauchen um heil zu werden. Dann schickt er den Wind unter unsere Flügel. Er liebt uns zurück in`s Leben.

Er liebt auch mich, er liebt auch dich, ich weiß er liebt auch mich.
Weil er die kleinen Dinge sieht, weiß ich: er liebt auch mich.

Dienstag, 10. Mai 2016

Wie viele Löffel hat mein Tag?


Die letzten Tage war Heio unterwegs. Und weil es Feiertag und Wochenende mit eingeschlossen hat war Samuel die meiste Zeit Zuhause. Ein normaler Mensch der das liest wird denken: Na und? (lesen hier überhaupt "normale" Menschen ? ;-)), aber weil ich an vielen Tagen noch mit Erschöpfung kämpfe, und die Kraft meistens nur bis nach dem Abendessen reicht, können solche Tage wie ein Berg vor mir liegen. Pünktlich zu Heios Abreise traf dann noch meine ungeliebte Wegbegleiterin - die Migräne - ein. Sie polterte so heftig in meinem Kopf, dass ich schon ahnte, dass sie sich für ein paar Tage da oben einrichtet. 
Das war also der Ausgangspunkt.
Frühstücksbild mit Migränepflaster

Am Tag zuvor hatte ich  diesen Artikel gelesen. Darin schreibt eine junge Frau, die mit Depressionen kämpft, über ihren Alltag und erwähnt dabei das Löffel-Konzept.  Grob gesagt geht es dabei um folgendes: Jeder Löffel steht für eine zu erledigende Aufgabe: Aufstehen. Frühstück machen. Anziehen. Kind in den Kindergarten bringen. Einkaufen. Aufräumen... Die meisten Menschen haben ausreichend Löffel in ihrem Besteckkasten. Sie müssen sich im Alltag keine Gedanken machen ob sie reichen oder nicht. Aber wenn man z.B. mit Depressionen kämpft, mit Erschöpfung oder chronischem Erkankungen, dann weiß du nie wie viele Löffel am Morgen in deinem Besteckkasten liegen werden. Vielleicht liegen da nur zwei erbärmliche Löffel und dann muß du genau überlegen welche Aufgaben du damit in Angriff nehmen kannst.

Ich finde dieses Konzept hilft dabei Menschen ein wenig besser zu verstehen die dauerhaft mit Einschränkungen leben müssen. Und es hilft mir in meinem Alltag folgendes zu lernen: Nicht das was nötig ist - nicht die "to-do-Listen" sollen meine Tage bestimmen, sondern das was möglich ist.  An manchen Tagen geht vieles und ich kann meinen Alltag einfach in Angriff nehmen. Und dann gibt es die Tage an denen überhaupt nichts EINFACH ist. An denen ich erstmal einen ehrlichen Blick in den Besteckkasten werfen muß. Und dann sollte ich besser sehr sorgfältig überlege was ich mit den wenigen Löffeln anstelle, die darin liegen.
 
In den letzten Tagen habe ich meine Löffel morgens sichtbar auf den Tisch gelegt. Es waren nicht viele. Und dann habe ich Jesus gebeten mir bei diesen zwei oder drei Aufgaben zu helfen.


Samu beschäftigen- das war der große Servierlöffel:-)
kleiner Ausflug zum Ende der Straße..



Blumen für die Oma holen auf dem Lieblingsmarkt


Pause machen- vielleicht kommt dadurch manchmal noch ein Löffel dazu?

Am Ende der Tage war ich einfach nur froh, dass ich Samu kaum angeschrien habe (und nur einmal das F-Wort benutzt habe), dass ich ihn tagsüber nirgends vergessen habe und jeden Abend das richtige Kind mit nach Hause gebracht habe. Ich finde viel mehr kann man von 3-Löffel-Tagen auch nicht erwarten :-).

Wenn ich das alles so aufschreibe dann merke ich mal wieder wie bescheuert es ist, wenn wir uns miteinander vergleichen. Wenn wir entmutigt sind warum wir das nicht schaffen was andere leisten oder wenn wir genervt sind warum der Andere so wenig hinbekommt. Die Sache ist die: wir sehen uns nicht gegenseitig an wie viele Löffel in unserem Besteckkasten liegen. Ich sehe von außen nicht was die jungen Frau mit Depressionen an der Kasse vor mir gerade leistet, wie viel Kraft die müde Mama (oder der Papa, oder die Kassiererin...) braucht um freundlich zu bleiben oder wie viel es meine chronisch erkrankte Freundin gekostet hat bei unserem letzten Gottesdienst vorbeizuschauen.

Heute habe ich eine mail von einer tollen Frau bekommen. Sie schreibt mir den Satz, den sie auf einer Postkarte gelesen hat: Ich atme. Produktiver wird es heute nicht mehr! Solche Tage gibt es auch. Da ist es völlig ok wenn wir einfach nur weiteratmen. (und vielleicht sammeln wir damit auch ein paar Löffel für den nächsten Tag) Und Gott strahlt uns am Abend an und sagt: Gut gemacht!